Samstag, 4. Juli 2020

04.07.2020: 24 Stunden Lauf Bad Blumau - Laufbericht

24 Stunden Lauf in Bad Blumau
Seit rund einer halben Stunde bin ich mit mir im Zwiegespräch, ob ein vorzeitiger Abbruch des Wettkampfes eine Option ist. Grundsätzlich ist alles im Soll, wenn nicht die zunehmend stechenden Schmerzen im rechten Fuß wären ...

Aber von vorne: Auch an unserem geliebten Laufsport gingen die coronabedingten Einschränkungen in den vergangenen Monaten nicht spurlos vorüber. Lange Zeit war das Laufen nur alleine oder mit Menschen aus dem selben Haushalt gestattet. Aber heute wird wieder wettkampfmäßig gelaufen. In Bad Blumau erfolgt in wenigen Minuten der Startschuss zum 24-Stunden-Lauf.

Bad Blumau ist eine Gemeinde im politischen Bezirk Hartberg-Fürstenfeld und hat rund 1600 Einwohner. Über die Grenzen des oststeirischen Hügellandes hinaus bekannt geworden ist Blumau im Jahr 1997, als die von Friedensreich Hundertwasser gestaltete Therme eröffnet wurde.

Im Rahmen dieses Rundenlaufes wird der österreichische Staatsmeister bzw. die österreichischen Meister in den Masters-Klassen sowie der steirische Meister im Ultralauf gekürt. Dank meines Laufclubs, dem MT-Hausmannstätten, bin ich für die Meisterschaftsläufe genannt und erhoffe mir bei den steirischen Meisterschaften eine Medaille. Neben dem 24-Stunden-Lauf findet auch ein 12-Stunden-Lauf statt bzw. wurde bereits gestern der Bewerb "3 Tage - 3 Marathons" gestartet.

Ich reise mit dem Auto über die A2 Südautobahn aus dem Süden von Graz kommend unkompliziert in unter einer Stunde an. Die Suche eines geeigneten Standplatzes gestaltet sich da schon schwieriger. Die schattigen Plätze entlang der Laufstrecke sind bei meiner Ankunft bereits besetzt und so bin ich ein wenig unschlüssig, wo ich mein Fahrzeug abstellen und meine "homebase" aufbauen soll. Letztendlich parke ich mein Fahrzeug ohne Aussicht auf Schatten. Primär will ich hier ja Runden laufen und nicht im Schatten sitzen ...

Die Marathon-Läufer sind bereits auf der Strecke. Für die Teilnehmer des Bewerbs "3 Tage - 3 Marathons" steht Tag 2 bzw. Marathon Nummer 2 am Plan. Ich habe noch knapp zwei Stunden Zeit, bevor ich pünktlich um 10:00 Uhr meinen erster 24-Stunden-Lauf in Angriff nehmen werde.

24-h Bad Blumau
Ich schlendere zur Ausgabe der Startunterlagen. Es sind die üblichen Haftungsausschlüsse zu unterzeichnen und die derzeit geltenden Covid-19-Auflagen zur Kenntnis zu nehmen. Dann erhalte ich die Startnummer 25 mit integriertem Zeitnehmungs-Chip der Firma raceresult. Das Startpaket beinhaltet neben Lesenswertem über die Tourismusregion Bad Blumau und einigen Produktproben auch das in violett gehaltene Finisher-Polo und die Finisher-Medaille. Es ist etwas merkwürdig, die Finisher-Medaille bereits am Start zu erhalten, aber im Grunde ist ein DNF (did not finish) bei einem Stundenlauf nicht möglich. Ich werfe einen kurzen Blick in das großzügig gestaltete Verpflegungszelt. So bietet die offizielle Verpflegungsstelle nicht nur Energie-Gels und -Riegel meiner favorisierten Marke an, sondern wird im Laufe des Wettkampfes auch Kartoffeln, Suppe und Kuchen zur Stärkung bereit stellen. Auch am Getränkeangebot (Wasser, Iso, Cola, Kaffee ....) scheint es an nichts zu fehlen.

Während viele Teilnehmer mit ihrem persönlichen Betreuerstab anreisen und riesige Zeltlandschaften aufbauen, halte ich es bescheiden. Ich bin es von Ultra-Trails gewohnt, nur das Nötigste in der Laufweste griffbereit zu haben. Zudem mute ich niemandem zu, mehr als 24 Stunden an der Strecke auszuharren, um mich zu supporten.

So stelle ich lediglich einen kleinen Klapptisch auf. Ich decke den Tisch zwar nicht, aber den Schatten, den der Tisch wirft, nutze ich als Unterstellplatz für die Kühltasche. Darin habe ich eine Portion Peronin (eine sehr hochwertige und magenschonende Flüssignahrung), alkoholfreies Bier und Salzbrezel. Dann knote ich noch einen Müllbeutel seitlich an den Tisch und schon bin ich mit den Vorbereitungsarbeiten fertig.

Zur Einstimmung auf die große körperliche und mentale Herausforderung gehe ich im Kopf meine Strategie noch einmal durch. Es ist mein Ziel, in 24 Stunden Laufzeit 180 Kilometer zurück zu legen. Zum einen halte ich diese Marke nach einer durchaus ansprechenden Trainingsphase bei guter Tagesverfassung für machbar. Zum anderen ist laut Wettkampfausschreibung der österreichischen Meisterschaften im Ultralauf in meiner Altersklasse eine Distanz von 180 Kilometern das Medaillen-Limit. Um die Aufgabe mental einfacher zu gestalten, setze ich mir Meilensteine. Mit der Distanz "Marathon" kann mein Kopf etwas anfangen. Ich erreiche meine Zielsetzung also mit dem Laufen von 4 Marathons. Pausen habe ich ebenso berücksichtigt, wie das Verlangsamen des Lauftempos. Für die auf die Zieldistanz fehlenden 12 Kilometer stehen mir 1 Stunde und 40 Minuten (zuzüglich einer Bonusstunde) zur Verfügung. Soweit die Theorie ...




Nun sind es noch 30 Minuten bis zum Start. Ich telefoniere kurz mit meiner Frau und entscheide mich für das vermeintlich nicht ganz perfekte Schuhwerk. Ich schnüre an meine Füße den Hoka Speedgoat. Der Speedgoat hat eine ausgeprägtere Sohle und ist eigentlich ein leichter Trailschuh. Die rund 1200 Meter lange Strecke in Bad Blumau verläuft zu 2 Drittel auf geteerter Straße und zu einem Drittel auf Schotterwegen. Die paar hundert Meter auf Schotter rechtfertigen mir zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung. Im Nachhinein wäre das Straßen-Modell Clifton wohl die klügere Wahl gewesen. Oder hätte ich gar auf den Asics GT 2000 zurückgreifen sollen? Hinterher ist man immer klüger ...

Endlich geht es los. Ich nehme gemeinsam mit knapp 100 Teilnehmer Startaufstellung. Die Moderatorin begrüßt uns sehr herzlich und weist auf das Reglement, insbesondere auf die Covid-19-Vorgaben hin. Das Wort wird an die Direktorin des Rogner Bades Blumau übergeben, bevor Punkt 10 Uhr der Startschuss des 24-Stunden-Laufes erfolgt.

Streckenabschnitt 24h Bad Blumau
Die Strecke (amtlich vermessene 1181 Meter) ist rasch erklärt: Unmittelbar nach der Startlinie geht es durch das Verpflegungszelt. Hinter dem Zelt stehen im Clubgebäude des ortsansässigen Fussballvereins Toiletten, Umkleiden und Duschen zur Verfügung. Nach einer kurzen Geraden geht es im rechten Winkel in die Bahnhofstraße, die in die Hauptstraße mündet. Hier sind einige Hofläden, Cafes und Hotels angesiedelt. Auf Höhe des Gemeindeamtes steht eine weitere Toilette für uns Teilnehmer bereit. Ob der guten sanitären Ausstattung gibt es eigentlich keine Notwendigkeit, seine Notdurft inmitten eines gepflegten Touristenortes direkt an der Strecke zu verrichten. Leider zeigt das eine oder andere der vielen hundert im Anschluss an den Lauf online gestellten Fotos das Gegenteil.

Nach ein paar hundert Meter geht es rechtwinkelig auf einen kurzen Wiesenpfad, bevor die Safen, ein schmales Gewässer, über eine Holzbrücke gequert wird. Die folgenden 300 Meter sind für mich der angenehmste Streckenabschnitt. Ein Schotterweg parallel zur Safen erfreut die gelangweilte Läuferseele zumindest ein wenig, bevor es wieder zum Start bzw. zum Rundendurchlauf geht. Hier ist eine mobile Multimedia-Tafel installiert, auf der Informationen wie zurückgelegte Runden, die absolvierte Distanz und die Platzierung abzulesen sind.

Ich finde von Anfang an ein ganz gutes Tempo, das einige Sekunden unter dem geplanten Kilometerschnitt liegt. Der Himmel ist beinahe wolkenlos und die Temperaturen steigen. So labe ich mich von Beginn an regelmäßig mit Wasser oder Iso und nehme alle 30-40 Minuten ein kleines Stück Banane oder ein Gel zu mir.

#42undmehr Bad Blumau
Entlang der Strecke feuern die Betreuerteams ihre Schützlinge lautstark an, rennen mit Wasserflaschen nebenher, unterhalten mit Gitarren-Gesängen. Mir persönlich ist das "Drumherum" bereits nach kurzer Zeit zu laut. Ich bedauere, nicht auf der Strecke eines Ultra-Trails zu sein. Ich liebe die Abgeschiedenheit in der Natur, die wechselnden Bodenbeschaffenheiten, anspruchsvolle technische Passagen, landschaftliche Highlights. Ich rücke den Fokus wieder auf die heutige Aufgabe und die lautet eben, in 24 Stunden möglichst viele Kilometer zu laufen.

Die erste Marathonmarke absolviere ich nach rund 4 Stunden und 30 Minuten. Um rund 15 Minuten früher als geplant habe ich dieses Zwischenziel erreicht. Auf eine längere Pause verzichte ich. Nach einem Schluck alkoholfreiem Bier aus der Kühltasche laufe ich in etwas gemäßigtem Tempo weiter.

Die Temperaturen klettern derweil weiter in die Höhe und lassen den Schweiß fließen. An zwei Stellen der Strecke wartet eine Dusche darauf, mit kühlem Wasser zu erfrischen. Gerne mache ich regelmäßig von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Größen der österreichischen Ultralaufszene hautnah zu erleben, mit ihnen zu laufen, von ihnen wiederholt überrundet zu werden, ist eine tolle Erfahrung. Speziell von Andreas Michalitz oder der späteren österreichischen Staatsmeisterin Karin Augustin oder auch von Andrea Mayer bzw. Karin Freitag habe ich schon einige Erfolge über die sozialen Medien mitverfolgen dürfen. Auch das Tempo, was der amtierende österreichische Meister des 100-km-Laufes, Wolfgang Michl, von Beginn an den Tag legt, ist atemberaubend. Michl wird sich nach 24 Stunden mit gut 225 gelaufenen Kilometern zum österreichischen Staatsmeister küren.

Die monotone Stecke ist orthopädisch stark belastend und fordert auch bei mir ihren Tribut. Nach rund 50 gelaufenen Kilometern spüre ich aufkommende Schmerzen im Bereich des rechten Sprunggelenkes. Seit ich im Vorjahr wegen eines Knochenmarködems im rechten Sprungbein  monatelang pausieren musste, bin ich bei Fußschmerzen besonders feinfühlig.

In meinem Gehirn rattert es. Mit Belastungsschmerzen (insbesondere Muskelschmerzen) ist bei einem 24-Stunden-Lauf zu rechnen, aber es ist erst ein Viertel de Zeit von der Uhr. Definitiv ist es viel zu früh, um fortan mit Schmerzen zu laufen. Unterbewusst verändere ich meinen Laufstil, der sich gar nicht mehr rund anfühlt. Verspannungen im Rumpf und Nacken sind die Folge. Ich hadere mit mir. Viele hunderte Kilometer Training habe ich auf mich genommen. Stunden um Stunden bin ich auf Asphaltstraßen statt auf den geliebten Trails gelaufen, um für mein 24-Stunden-Projekt bestmöglich vorbereitet zu sein. Die Erreichung meines definierten Zieles ist gerade in weite Ferne gerückt.

Aufgeben ist für mich grundsätzlich keine Option. Stolz blicke ich auf meine makellose DNF-Quote, denn kein einziges mal musste ich bisher vor der Ziellinie die Segel streichen. Die nächsten Runden sind geprägt vom Durchdenken aller möglichen Szenarien. Zusätzlich hole ich die Meinung eines Außenstehenden ein. Sein Ratschlag, die Gesundheit nicht auf´s Spiel zu setzen, kommt nicht unerwartet. Letztendlich reift in mir die Entscheidung, den 24-Stunden-Lauf in Bad Blumau nach rund 7 Stunden vorzeitig abzubrechen.

Steirischer Meister Ultralauf: Wolfgang Kölli
Ich teile meiner Frau die Entscheidung mit und melde mich bei der Rennleitung ab. Ich packe in Windeseile den Klapptisch und die Kühltasche ins Auto. Ich möchte so rasch als möglich weg von hier. Um die Läufer auf der Strecke nicht zu gefährden, mache ich mich quer über die Wiese "vom Acker". Enttäuscht aber auch erleichtert über die getroffene Entscheidung lasse ich am Heimweg die letzten Stunden Revue passieren.

Zu Hause verfolge ich bis spät in die Nacht die Ergebnisse im live-timing. Am Morgen danach macht sich doch Wehmut breit, nicht mehr im Wettkampf die Runden zu drehen. Es muss ein erlösendes Gefühl sein, wenn die letzte Stunde des Rundenlaufes anbricht. Als zu Mittag die offizielle Ergebnisliste veröffentlicht wird staune ich nicht schlecht, dass ich mich trotz meines vorzeitigen Abbruches steirischer Meister im Ultralauf in der AK45 nennen darf. Dieser Erfolgt ist jedoch ausschließlich der fehlenden Konkurrenz in meiner Altersklasse geschuldet. Wie sportlich wertvoll dieser Titel ist, sei daher dahingestellt. Die Goldmedaille wird mir ein paar Tage später von der Landessportkoordinatorin des steirischen Leichtathletik-Verbandes ausgehändigt. Vielen Dank dafür.

Fazit: Vermutlich wird es für mich keine Neuauflage eines 24-Stunden-Laufes geben. Ich bin kein großer Fan des Rummels entlang der Strecke. Auch fehlt mir bei diesem Laufformat die Schönheit, das Abenteuer und das Abwechslungsreiche eines Ultra-Trails. Die Motivation hoch zu halten fällt mir schwer, wenn man das Ziel auch einfach "abwarten" kann. Es braucht für mich eine Ziellinie, die es zu überqueren gilt. Dann weiß ich, ich habe die Strecke geschafft, den Lauf gerockt. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Format liegt mir nicht. Aber es war jedenfalls eine neue Erfahrung und die Bestätigung, dass meine große sportliche Leidenschaft dem Lauf auf Trails gehört. Aber wie heißt es so schön: Sag niemals nie ...

04.07.2020: 24 Stunden Lauf Bad Blumau - Laufbericht


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