Ich bin auf dem Weg in den Ort Kainach bei Voitsberg. Es erwartet mich heute mit dem Kainacher Bergmarathon ein anspruchsvoller Marathon mit Überlänge. Die letztendlich 44,5 Kilometern sind mit 1800 positiven Höhenmetern gespickt. Dazu kommt der Umstand, dass bis auf wenige Asphaltkilometer der Großteil der Strecke auf Wiesenwegen, Single-Trails, Geröllpassagen, Auf- und Abstiegen mit kniehohem Fels gelaufen wird. Der Kainacher Bergmarathon zählt daher mit Recht zu den anspruchsvollsten Rennen in der Steiermark und ist meine bislang größte läuferische Herausforderung.
Bin ich heute dafür bereit? Diese Frage stelle ich mir seit gestern Abend zunehmend. An eine solche läuferische Herausforderung sollte man eigentlich getapert an´s Werk gehen. Tapering bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man vor dem Wettkampf auf effiziente Weise das Training reduziert und entsprechend "ausgeruht" an den Start geht. Aber dieser Wettkampf dient mir lediglich als zusätzlicher Trainingslauf für das nächste Saisonziel, dem 6-Stunden-Lauf in Steyr. Am letzten Wochenende stand ein 33 Kilometer langer Trainingslauf in das Wellenbad Gleisdorf am Programm. Letzten Montag war ich am Golfplatz, Dienstag, Mittwoch und Freitag hatte ich Lauf-Trainingseinheiten. Am Ende des heutigen Laufes werde ich eine Wochensumme von knapp 80 Kilometer gelaufen sein.
Die Abholung der Startunterlagen gestaltet sich unkompliziert. Das "Wettkampfbüro" ist in der Volksschule Kainach einquartiert. Umkleiden und Duschen stehen hier ebenfalls zur Verfügung.
Gemeinsam mit weiteren 87 Einzelläufern stehe ich am Start. Für meine Familie zu Hause habe ich "live tracking" aktiviert. So kann mein Fortschritt wieder in Echtzeit am Smartphone daheim verfolgt werden. Zusätzlich nutze ich heute erstmals eine weitere Funktion meines Garmin 920XT. Ich habe mir gestern den GPX-File der Laufstrecke auf meine Laufuhr geladen. Mit der Navigationsfunktion werde ich heute darauf hingewiesen werden, wenn ich die Stecke verlasse und ich in Begriff bin, mich zu verlaufen.
3, 2, 1, Start. Die ersten rund 1,5 Kilometer führen auf noch halbwegs flacher Asphaltstraße aus dem Ort Kainach. Dann folgt bereits der erste steile Anstieg auf einem Wiesenweg, der von den Regenfällen vor zwei Tagen recht aufgeweicht ist. Laut Streckenprofil wird es bis Kilometer 17 kontinuierlich steigen. Das tut es letztendlich auch ;-). Teilweise finden wir Läufer noch gut laufbare Aufwärtspassagen vor; an manchen steilen Anstiegen geht es nur mehr mit Tippel-Schritten oder gar nur mehr im Gehschritt voran.
Ich laufe mittlerweile 2 Stunden ununterbrochen aufwärts. Über die Roßbachalpe geht es dem höchsten Punkt der Strecke entgegen. Sehr viele Kuhgatter müssen passiert werden. Mancherorts stellt sich Familie Kuhli-Muh einfach in den Weg, um das merkwürdige Treiben der bunten Laufgestalten aus nächster Nähe zu beobachten. Für mich als kleiner Rindvieh-Angsthase ist es eine zusätzliche Herausforderung, mich an den wiederkauenden Vierbeinern vorbei zu schummeln.
"Hier oben" sind wunderbare Single-Trails zu laufen. Durch die teilweise hohen Steinstufen ist dieser Streckenabschnitt technisch besonders anspruchsvoll und bedarf große Aufmerksamkeit, um nicht zu stürzen. Verletzungen wären hier bei einem "Stolperer" vorprogrammiert. Ein wundervoller Ausblick weit über das Tal hinaus entschädigt für die Mühen des Aufstieges.
Nun folgt der steilste Streckenabstieg. In der beinahe Vertikalen geht es über ausgewaschene Pfade mit wieder teils kniehohen Stufen zum Gleinalm-Schutzhaus, wo eine der rund 10 Versorgungsstellen eingerichtet ist.
An den Labestellen werden neben Iso und Wasser auch Cola sowie Bananen und Energie-Riegel angeboten. Zudem findet man gut gelaunte Helfer mit aufmunternden und motivierenden Worten vor. An dieser Stelle einen herzlichen Dank für die gute Betreuung entlang der Strecke.
Nach einem welligen, etwas steinigen Waldweg wird die sogenannte Lipizzanerweide durchlaufen. Die Halbmarathonmarke erreiche ich nach etwa 2 Stunden und 45 Minuten. Ich habe also für die 21 Kilometer gut eine Stunde länger gebraucht als ich bei einem Halbmarathon auf flacher Asphaltstrecke benötigen würde. Zu diesem Zeitpunkt ist mir bereits klar, dass die anvisierte Endzeit mit 5 Stunden kaum erreichbar sein wird.
Die Strecke fällt jetzt zwar größtenteils, macht sie aber durch unebenen Laufuntergrund nicht einfacher zu laufen. Eher im Gegenteil. Ich habe mich gegen einen Trailschuh entschieden und laufe mit meinen Adidas Sequence Boost. In Querpassagen geben sie meinen Füßen zu wenig Längsführung und die Sohle schützt meine Füße kaum gegen den teilweise spitzsteinigen Untergrund. Dass ich bereits eine riesengroße Blase an einer Zehe des linken Fußes habe, werde ich erst morgen feststellen. Zu sehr lenken die Schmerzen in der vorderen Oberschenkelmuskulatur von allen übrigen kleineren Weh-Wehchen ab.
Denn die Oberschenkelstrecker haben mittlerweile genug vom "Bergab-laufen". Er schmerzt beidbeinig bei jedem Schritt. Aber wie heißt es so schön: Der Schmerz geht, der Stolz bleibt. Und so wird es auch heute sein.
Die "giftigen" Gegenanstiege und schmalen Pfade machen die Strecke weiterhin sehr anspruchsvoll und kosten Zeit. Gegenhänge sind mittlerweile eine gern gesehene Abwechslung und Entspannung für die Muskulatur. Dieser Lauf lehrt, dass aufwärts laufen deutlich angenehmer sein kann als bergab.
Aber gute 4 Kilometer geht es noch nach unten zurück in den Ort Kainach. Der trailige Laufuntergrund ist nach fast 5 Stunden Asphalt gewichen. Ich muss auf diesem Gefällestück zweimal kurz anhalten, um mein Gebein zu lockern.
Im Tal angelangt, labe ich mich an der letzten Verpflegestelle und nehme die abschließende sogenannte "Sadistenschleife" in Angriff. Woher der Name? Man befindet sich eigentlich unmittelbar vor dem Ziel, aber die Strecke führt nochmals weg vom Ortszentrum und macht eine Schleife. Es geht nochmals für ein paar hundert Meter nach oben. Meinen Oberschenkeln freut´s. Aber wo es nach oben geht, geht es in der Regel - speziell wenn es sich um einen Rundkurs handelt - auch wieder nach unten. Diese finalen Meter werden nun wieder auf geschottertem Weg gelaufen und können mir nichts mehr anhaben.
Unter persönlicher Ankündigung durch den Platzsprecher laufe ich nach 5 Stunden und 23 Minuten auf dem 35. Platz von 88 Teilnehmern in das Ziel.
Fazit
Der Kainachder Bergmarathon wird vom TUS Kainach, der Sektion Leichtathletik und Triathlon, organisiert. Das Nenngeld ist mit einem Preis ab 40 Euro bis zu 55 Euro im Fall der Nachnennung für einen Landschaftslauf im höheren Bereich angesiedelt. Dafür erhält man ein Finisher-Shirt aus Funktionsfaser sowie eine Tageseintrittskarte für die Therme Nova in Köflach und weitere Zugaben wie Müsli-Riegel, Getränk, Produktproben etc. Angesichts dieser großzügigen Beigaben und auch Dank der tollen Organisation und Verpflegung vor Ort scheint das Startgeld angemessen.
Die Strecke selbst ist technisch sehr anspruchsvoll und ist bedingt durch die Länge und Höhenmeter eher gut trainierten Läufern vorbehalten. Die Strapazen werden jedoch mit wunderbaren Ausblicken entschädigt. Ich kann den Kainacher Bergmarathon vorbehaltlos weiterempfehlen.